Ein Kommentar von Christian Grauer über israelbezogenen Antisemitismus, die willfährige Rezeption von Hamas-Propaganda und Doppelmoral gegenüber diktatorischen Regimen.
In einem Video von Sarah Maria Sander werden Bilder von einer antiisraelischen Demonstration in Berlin gezeigt, die sehr deutlich machen, dass hier nicht Kritik an der israelischen Politik geäußert wird, sondern dass die antisemitischen Positionen der Hamas verbreitet werden, dass zu Gewalt und Mord aufgerufen wird. Und wie die Autorin zutreffend bemerkt: Das ist keineswegs ein Einzelfall.
Es ist hier auch offenkundig, dass diese ‚Israelkritiker‘ genauso wenig wie die Hamas jene Zweistaatenlösung anstreben, die Politik und Medien gebetsmühlenartig als Patentlösung darstellen – ihr Ziel ist nicht Frieden für die Zivilisten beider Seiten, sondern die Vernichtung Israels. Klar und deutlich.
Die Hamas: für die UNO nicht so schlimm
Die UN‐Sonderberichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, sagte neulich allen Ernstes, die Hamas sei eine politische Kraft, es seien keine bis an die Zähne bewaffneten Kämpfer. Ich will das gar nicht weiter kommentieren, weil es so haarsträubend absurd ist, was diese Frau von sich gibt, aber es zeigt, wie weit das toxische Narrativ dieses komplexen Terrornetzwerkes in unsere Gesellschaft, unsere Institutionen und in unsere Politik hinein reicht. Die UNO treibt mittlerweile ganz offen das Geschäft derer, vor denen die Welt zu beschützen sie eigentlich mal gegründet wurde.
Während die EU über Sicherheitsgarantien für die Ukraine berät, bekräftigt der deutsche Kanzler jenes Waffenembargo gegen Israel, das er vor seiner Wahl seinem Vorgänger noch vorgeworfen hatte. Solidarität mit Ukrainern ja, mit Juden nein. Die Palästinenser opfern ihre Kinder für die Dämonisierung Israels, sie trainieren den Kindern den Hass auf Israel in Büchern, in Spielen, in Theaterprojekten von klein auf an (auch in UN‐Schulen und mit deutschen Geldern). Sie benutzen Schulen als Waffendepots und haben Kommandozentralen unter eben diesen Schulen und Krankenhäusern, sie missbrauchen die Zivilbevölkerung, um sich hinter ihr zu verschanzen und es damit einerseits der israelischen Armee unmöglich zu machen, die Hamas ohne zivile Opfer zu bekämpfen, und andererseits, um die gezielt in Kauf genommenen Opfer propagandistisch zur Dämonisierung Israels auszuschlachten. Die Hamas behindert gezielt – und wieder mit Hilfe der UN – die Verteilung von Hilfsgütern, solange diese Verteilung nicht unter ihrer Kontrolle steht (inkl. UN), sondern von der von den USA und Israel beauftragten GHF durchgeführt wird. Auch hier instrumentalisieren sie die von außen schwer einzuschätzende Hungersnot ihrer Zivilbevölkerung, um Israel zu dämonisieren. Und nicht zuletzt: Gaza ist nach wie vor eine Diktatur, in der Pluralismus und jede Opposition mit Gewalt unterdrückt werden. Die Hamas nutzt Gaza seit Jahrzehnten als Abschussrampe für Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung. Und die Hamas hält nach wie vor israelische Geiseln unter menschenverachtenden Bedingungen fest, um ihre Macht zu sichern und den Krieg am Laufen zu halten.
Ukraine hui, Israel pfui?
Nun ist es keineswegs verwunderlich, dass ein diktatorisches Regime als Aggressor so handelt. Die Geschichte zeigt zahllose Vorbilder, auch wenn die Hamas ein besonderes Maß an Perfidie erreicht hat. Und es steht auch außer Zweifel, dass durch den Kampf Israels gegen diese konstante Bedrohung zahllose Menschenleben sinnlos geopfert werden. Dieser Kampf basiert aber, anders als der Terror der Hamas, auf dem Selbstverteidigungsrecht eines souveränen Staates, das jeder Staat dieser Welt für sich beansprucht, wie etwa die Ukraine. Denn auch wenn im Falle der Ukraine das Opfer geradezu romantisiert und in der Person Selenskyjis zur Heldenhaftigkeit stilisiert wird, muss man doch feststellen, dass auch die ukrainische Armee seit drei Jahren bei dem Versuch, sich gegen einen Aggressor zu wehren, Menschen tötet. Dass es in Russland weniger Zivilisten und mehr Soldaten trifft (die allerdings auch nicht scharf darauf sind), hat seinen Grund darin, dass Russland bei aller Kritik die Perfidie gegen sein eigenes Volk nicht im gleichen Maße ausschöpft wie die Hamas. Aber jeder Krieg und jede Kriegshandlung ist eine humanitäre Katastrophe. Begriffe wie ‚völkerrechtlich‘ oder ‚Kriegsverbrechen‘ insinuieren, dass es Kriegshandlungen gibt, die ‚okay‘, und solche, die böse sind. Das ist auf einer gewissen juristischen Ebene auch zutreffend, aber aus der Sicht des Lebens und vor allem aus der Sicht der Opfer ist diese Unterscheidung nur zynisch.
Das toxische Hamas-Narrativ geht um die Welt
Dieser Zynismus schlägt sich in einem weiteren palästinensischen Propaganda‐Topos nieder, nämlich in der Aufrechnung von Todesopfern. Auch abgesehen davon, dass die Angaben zu den Opfern ausschließlich aus palästinensischer Quelle, d. h. von der Hamas kommen und dass diese es tunlichst vermeidet, zwischen zivilen und militärischen Opfern zu unterscheiden, steht wohl außer Frage, dass auf palästinensischer Seite deutlich mehr Opfer zu beklagen sind als auf israelischer. Aber spricht das für besondere Gewalttätigkeit der Israelis oder für deren besondere Anstrengungen beim Schutz ihrer Bevölkerung? Die mehreren zehntausend Raketen, die seit 2007 aus Gaza wahllos auf Israel abgeschossen wurden, haben ja nicht deswegen vergleichsweise wenige Opfer gefordert, weil es sich dabei um Wattebäuschchen handelte, die liebevoll nach Israel geschickt wurden, sondern weil Israel seine Bevölkerung mit dem Iron Dome schützt, einem dezentralen interaktiven Raketenabwehrsystem, das pro abgewehrter Rakete bis zu 50.000 Dollar kostet, während die Hamas ihre Zivilisten (so sie überhaupt welche sind) gezielt ins feindliche Feuer hält, um dann mit hohen Opferzahlen ihr toxisches Narrativ zu füttern und der Welt einzureden, Israel betreibe einen Genozid.

Die eigentliche Katastrophe aber ist, dass dieses toxische Narrativ, das auf mehr oder weniger lebendige antisemitische Traditionen fällt, im Westen mehrheitlich verfangen hat und unkritisch übernommen wird. Unsere Medien verbreiten – anders als im Falle der Ukraine – ohne jeglichen Disclaimer all die Zahlen, Bilder und Informationen, die von palästinensischer Seite, d. h. von der Hamas ausgegeben werden, als wären es Fakten. Sowohl die Opferzahlen als auch Berichte über Schießereien an Hilfsgüterausgaben, über israelische Angriffe auf Krankenhäuser, auf das Zurückhalten von Hilfsgütern und ähnliches wird ungeprüft ausgestrahlt. Und auch wenn vieles davon später revidiert oder relativiert wird (was, wie man weiß, maßlos aufwendiger ist, als eine Behauptung aufzustellen), dann ist die Botschaft der Hamas dennoch erfolgreich in den deutschen Wohnzimmern angekommen. Menschen, die abgesehen von der Ukraine sonst für keinen Krisenherd und kein unterdrücktes Volk dieser Welt auf die Straße gehen, ziehen dann durch die Städte. Sie tragen Symbole, deren Bedeutung ihnen nur vage bewusst ist. Sie rufen Parolen, die versteckte oder offene Codes für brutale terroristische Ziele sind. Sie demonstrieren zusammen mit Menschen, die Deutsche jüdischen Glaubens bedrohen, angreifen, ausschließen und für das Handeln eines fremden Landes verantwortlich machen – und glauben dann tatsächlich, auf der richtigen Seite zu stehen, sich mit einem unterdrückten Volk zu solidarisieren und sich gegen einen Dämon zu erheben. Dabei sind sie nichts anderes als die ‚useful idiots‘ des eigentlichen Dämons. Zur geradezu grotesken Satire wird dies, wenn Bewegungen wie Queers for Palestine sich mit einem Regime und einem Volk solidarisieren, dessen erklärtes Ziel die Vernichtung einer Kultur ist, in der Queerness Teil der Normalität ist. Und zwar am Besten durch die Ermordung von Queeren.
Israel-Kritik als Volkssport: No Jews, no News
Kritik an Israels Politik ist so legitim wie bei jedem anderen Land. Aber nichts ist so laut, so allgegenwärtig, so opportun und oft uninformiert wie Kritik an Israel. Sie ist keineswegs tabu, wie oft behauptet wird, sondern in vielen Bereichen geradezu Volkssport. Und hier wird diese Kritik zu Antisemitismus, weil sich ihre Singularität und die Exklusivität, mit der sie bei all den Aggressoren und Konfliktherden dieser Welt immer wieder Israel heraushebt und zum Gegenstand ihres Protestes macht, der Hand in Hand mit offen antisemitischer Rhetorik aus arabisch‐muslimischer Richtung marschiert, nahtlos an die Jahrtausende alte Ausgrenzung, Diffamierung, Diskriminierung und Massakrierung des Jüdischen Volkes anschließt: No Jews, no News. Oder anders gesagt, weil nicht ersichtlich ist, aus welchem anderen Grund durchschnittliche Menschen wie du und ich sich immer und ausschließlich im Falle Israels so sicher sind, die von Israel in einem abgeschotteten Land durchgeführten Militäroperationen so abschließend beurteilen zu können, dass sie sich dazu genötigt sehen, auf die Straße zu gehen und „Genozid“ zu rufen. Selbst im Falle der Ukraine, wo es von russischer Seite offene erklärte Absichten gibt, die Ukraine als Nation zu vernichten bzw. in die russische Nation einzuverleiben, bleiben diese Urteile flächendeckend aus. Ganz zu schweigen von der Hamas und dem Iran, die beide die Vernichtung Israels mehrfach und immer wieder lautstark proklamieren und nicht zuletzt am 7. Oktober mit Taten untermauert haben.
Warum ein Waffenembargo gegen Israel fatal ist
Ich kann weder im Falle der Ukraine noch im Falle Israels entscheiden, ob die Verteidigungsmaßnahmen angemessen, zielführend und effektiv sind. Was ich aber feststellen kann, sind drei Dinge:
1. Die Hamas hat diesen Krieg mit einem brutalen Angriff ausgelöst.
2. Die Hamas hätte es in der Hand, von heute auf morgen für Frieden zu sorgen, wenn sie die Geiseln freilassen und die Waffen niederlegen würde. Israel hat 2005 und bis zum 7. Oktober 2023 (und auch schon früher) bewiesen, dass ihm Frieden wichtiger ist als Territorium. Aber es hat für seine Räumung des Gaza‐Streifens keinen Frieden bekommen, sondern erst recht Krieg. Und die Hamas lässt keinen Zweifel daran, dass auch im Falle eines Rückzugs Israels zum jetzigen Zeitpunkt genau dies die Folge sein würde.
3. Wenn wir Israel kritisieren, ohne einzugestehen, dass das Grundproblem die Hamas und nicht Israel ist, und wenn wir Israel die Solidarität entziehen, ohne die Hamas unschädlich zu machen, dann beschädigen wir damit die Werte und Institutionen, auf denen unser Selbstverständnis einer freien, demokratischen und gerechten Welt basiert (dasselbe gilt für den Fall, dass wir Russland Teile des ukrainischen Territoriums zugestehen würden).
Ein Waffenembargo gegen Israel ist auch dann, wenn das Israels tatsächliche Verteidigungsfähigkeit wohl nur marginal tangiert, ein Signal, mit dem wir nicht nur unser Versprechen brechen, die historische Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk zu wahren und die Verteidigung des Existenzrechts Israels als Staatsräson zu verstehen, sondern ein Signal in genau jene Richtung. Wir kündigen unsere Solidarität mit Israel auf, lassen aber die Hamas gewähren, ja schicken ihr sogar noch Geld. Und wir tun dies nicht auf Basis von Sachzwängen oder einer Notlage, sondern auf Basis jenes toxischen Narrativs, das erneut und im 21. Jahrhundert auf primitive antisemitische Vorurteile abzielt. Und dass es in so weiten Teilen der Bevölkerung und insbesondere bei unserer intellektuellen Elite verfängt, spricht Bände über die scheinbar gelungene Aufarbeitung des Holocaust.
Christian Grauer, geboren 1968 in Villingen im Schwarzwald, hat Philosophie, Linguistik und Italienisch in Stuttgart, Berlin und Urbino (Italien) studiert. Er arbeitet als selbständiger IT‐Dienstleister, Fremdsprachenlehrer und freier Autor in Stuttgart. Er veröffentlicht u. a. beim Info3‐Verlag und auf seinem Blog schachtelhalm.net.
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